Bericht vom 25. FIDUCIA Baden-Marathon Karlsruhe 16.09.2007

Text von Mirko Leffler (email: Photo@photo-perfect.de)
Fotos: Joy Leffler

Karlsruhe! Was habe ich nicht alles von Dir gehört? Mausgrau und langweilig sollst du sein. Klingt einfach logisch. Wo der Bundesgerichtshof zu Hause ist, kann es ja nicht wirklich fröhlich zugehen. Aber wie empfängst du Lars Unbehaun, Christian Marx und mich? Mit einem verzeihenden, sonnigen Lächeln! Als wir an deine Stadtgrenze kommen, sind wir fasziniert. "Viel vor. Viel dahinter." lesen wir unter deinem Namen. Welch geistreiches Wortspiel, das uns Ungläubige sofort bekehrt. Und neugierig macht! Denn obwohl er nicht auf der Jahresplanung steht, können wir deinem Aufruf zum Jubiläumslauf am 16. September 2007 einfach nicht widerstehen.

Gegen 8.40 Uhr parken unsere Kleiderbeutel in der Walter-Eucken-Schule. Doch wo finden wir den Startblock? Wir müssen uns hastig zwischen zwei Strassen entscheiden und schwingen uns hinter die Tafel "Zugläufer 3:59h". Unser Guide heißt laut Schild "Schrittmacher", hat sich mit Gesichtsfarbe als roter Teufel getarnt, trägt einen gelben Luftballon und ist 100KM-Finisher. Also sind wir richtig! Während Lars seinen ersten Marathon aus eigener Kraft beenden will, startet Chrissi mit iPod. Aber weder Instrumentals von Joey Kelly noch harte Beats von AC/DC sollen ihn nach vorne peitschen, sondern Vokabeln in penetranter Deutsch-Englisch-Übersetzung. Hoffentlich wird er dabei keinen Schaden nehmen! Meine Strategie baut heute auf die Geheimwaffe der weltbesten Marathonläuferin. Ich schaue an meinen blassen Schenkeln herunter und stehe als männliches Double von Paula Radcliffe bereit. Mit Kompressionsstrümpfen, die in Pflegeheimen und bei Thrombosepatienten auch unter dem Begriff "Stützstrumpf" bekannt sind. Ob mich das wirklich schneller macht? Keine Ahnung! Kritiker behaupten gerne, dass das Tragen beim Wettrennen vor allem der Herstellerfirma nützt. Andererseits sollen nach neuesten Erkenntnissen auf 10.000 Metern satte 250 Meter Vorteil möglich sein. Das kann in meiner "Leistungsklasse" immerhin bis zu 6 Minuten ausmachen! In der Hoffnung, dass diese These ausnahmsweise nicht von der Industrie gesponsert wird, behalte ich das schwarze Wadenkleid an.

7 Minuten nach 9 Uhr wandern wir gemütlich über die Startlinie und der Stau aus über 18.000 Beinen löst sich. Ganz langsam. Nach einem gefühlten Kilometer sind wir in der Kriegsstrasse. Leider haben einige Kollegen besondere Taktiken entwickelt, um die vermeintliche Konkurrenz zu zermürben. Als ich die Klänge eines begabten Saxophonisten in der Tunnelunterführung inhalieren will, lauert die erste Attacke. Hilfe! Alles ist dunkel und ich schaue auf ein Monster. Mein riesiger, unbekannter Vordermann verängstigt mich nicht etwa mit seinem Muskelshirt, sondern mit den (echt-)haarigen Auswucherungen, die zentimeterhoch und unkontrolliert über seinen Rücken, die Schultern und Arme sprießen. Ein Werwolf? Zum Glück haben wir keinen Nachtlauf bei Vollmond! Um den Schrecken zu verdrängen, bleibe ich bei Christian und Lars. Schon erschüttert Kindergeschrei mein Trommelfell, nur durch kurzes Luftholen unterbrochen. Ist gerade eine Mama unter die Füße gekommen oder werden hier Babys gequält? Ich traue meinen Augen kaum. Hinter einem Auto hat sich eine grauhaarige Omi verschanzt und pustet sich auf einem Vorkriegsinstrument schwindelig, nur um uns anzufeuern! Wir lachen und bedanken uns klatschend. Kilometer 10 entdecke ich nach 55 Minuten. Ob das für eine Bestzeit reicht?

Schon überlaufen wir die Autobahn A5. Es wird enger. Dicht an dicht schieben wir uns durch den Oberwald. Plötzlich ist Lars im Gedränge verschwunden. Die zweite Attacke erscheint in Form eines schwergewichtigen Endfünfzigers mit dem Charme einer Dampfwalze, dem ich wohl vor die Beine stolpere. "So geht das nicht!" schimpft er. Mit einem freundlichen "Ich habe die Route leider nicht gemacht, mein Freund!" lasse ich seine Kritik an meinen atmungsaktiven Textilien abtropfen. Wozu sinnlos Energie verschwenden? Nach mehrfachem Abbremsen verbreitert sich der Weg wieder. Die ersten Bananen warten an der Verpflegungsstelle. Und eine knackige Fußgängerüberführung. Ich blicke zu Chrissi. Was war in dem Becher? Red Bull? Unerwartet schwebe ich. Wie Major Tom. Völlig schwerelos! Kurzes Innehalten. Es ist die Brücke, die unter dem Gleichschritt unserer Beine schwankt! Noch vor der Europahalle treffe ich verdächtige Weggefährten mit dem Schriftzug der Justizvollzugsanstalt Karlsruhe auf den T-Shirts. Wird nun Attacke Nummer 3 geplant? Sind das gar Häftlinge, die die Weiterentwicklung der elektronischen Fußfessel testen?

Augenschmaus

Irritiert lasse ich die vermutlichen Subjekte ziehen und verliere den Anschluss. An Chrissi und den "Schrittmacher". Gleich leert sich die flache Strecke und knapp 7.000 Halbmarathonis bleiben zurück, treiben zum Ziel. Kann ich noch aufholen? Was sagt die Zwischenzeit? Ich weiß es nicht, denn abermals bleibt meine Stoppuhr wie ferngesteuert stehen. Abrupt wird es ruhig und fast menschenleer. Eine blühende Flusslandschaft lädt zum Verweilen. Schnell folge ich dem Ruf der Natur und dem meiner Blase. Pause! Schatten huschen vorbei. Moment! War das eine nackte Läuferin? Nur sanft mit Farbe bedeckt? Angeblich sind einige bemalte Auserwählte im Kleid der Liebe unterwegs, um für spannende Unterhaltung und Zuschauer zu sorgen. Sofort übermannt mich die Sinfonie der Sinne. Instinktiv sprinte ich, um hautnah dabei zu sein. Doch das bodygepaintete Exemplar entpuppt sich als minder attraktiver Herr. Schade! Warum kommt mir dann gerade jetzt Sex in den Sinn? Ach so! Vor mir schreit ein schwarzes, vulgäres Hemd mit weißen Buchstaben "Das Leben fickt mich jeden Tag!" Doch was meint sein Träger damit? Ich komme ins grübeln, aber nicht dahinter und wünsche ihm noch viel Spaß.

Ab Kilometer 33 bearbeitet der Teer meine rechte Hüfte. Wie erwartet. Sicher hätte ich meine gepeinigten Schuhe nach über 1.000 Kilometern längst aussortieren müssen. Aber ich habe ihnen dieses letzte Highlight versprochen, basta! Schon grüßt der Schlosspark und mir sausen die "Zugläufer 3:45h" entgegen. "Mirko!" ruft eine vertraute Stimme. Der verschollen geglaubte Lars ist wieder da - und weit voraus! Bin auch ich schneller als gedacht? Frisch motiviert eile ich an Brunnen und winkenden Zuschauern vorbei. Doch der Schlosspark ist ein gemeiner Irrgarten! Statt mich nach rechts zu führen, drifte ich immer weiter nach links ab. Mein Namenszug unter der Startnummer entfesselt nur noch das Publikum. "Der Mirko ist fit" höre ich. Danke, das tut gut! Aber wieso sagt mir niemand, dass ich "super aussehe"? Sind Karlsruher ehrlicher? Haben es die Bewohner der Märchenerzählerstadt beim Kassel-Marathon mit der Wahrheit nicht ganz so genau genommen? Prompt überholt mich ein dunkelhäutiger Mitstreiter. Unfassbar, er trägt weiße Kompressionsstrümpfe! Wir sollten als Team starten! Umgehend hänge ich im Schlepptau und meine geistige Talfahrt beginnt. Ich begreife jetzt, dass mich der Garten auf einer Länge von über vier Kilometern meucheln will. Zwar lausche ich den virtuosen Klangstrahlen, die mich vom Karlsruher Schlossbalkon aus erhellen sollen. Aber das reicht nicht.

Es wird Zeit für goldene Worte. Aus meinem tiefsten Innern! 20 Mal nacheinander wiederhole ich die Zauberformel des Gigathlon-Weltmeisters Bennie Lindberg: "Ich bin stark, ich fühle mich fit, ich will schneller laufen!" Tatsächlich verlasse ich das mentale Sterbebett und fliege Richtung Paradies. Im "Runner`s Heaven", dem Ziel von Deutschlands drittältestem Citymarathon, werde ich fröhlich von meinen Kameraden empfangen. Durch hohe Zäune von der bewundernden Außenwelt getrennt, fühlen wir uns kurzzeitig wie Popstars. Christian hat in 3:57:13 erneut die 4-Stunden-Marke geknackt und Lars lief beachtliche 4:05:59! Immerhin tröstet mich die persönliche Marathonjahresweltbestleistung mit 4:12:52. Als ich eine Frau mit Finisher-Medaille und obligatorischer Rose sehe, muss ich an die Blume meines Herzens denken. Und an eine brandheiße Studie!

Hemmungsloses Liebesspiel am Wettkampf-Vortag soll durch den erhöhten männlichen Testosteronspiegel doch tatsächlich bis zu 5 Minuten Vorsprung bewirken.

Aber davon berichtet bestimmt eine andere Geschichte…

 
 

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