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28.08.2005 25. ÖTZTALER RADMARATHON 2005
Bericht von Zenon Karczewski

Das StreckenprofilDer Startschuss fällt gegen 6:30. Ich stehe nicht ganz vorn (bis ich über die Startlinie fahre, vergehen einige Minuten) und fange eher "gemütlich" an. Die letzten 2 Wochen konnte ich aus verschiedenen Gründen nicht trainieren, so heisst mein Ziel heute: Durchhalten, auf keinen Fall aufgeben. Bei dem Sauwetter vor 2 Jahren musste ich mit meiner viel zu leichten Kleidung schon nach 25 km aufgeben und habe mir damals geschworen: Das passiert Dir nie wieder. Die Taktik ist auch klar: die Kräfte so einteilen, daß auf dem Jaufenpass "der Ofen" noch nicht aus ist. Nach ca. 45 Minuten (30 Kilometer) bin ich in Ötz angekommen, hier fängt das Rennen, nachdem es bis jetzt nur bergab ging, erst richtig an. Die ca. 20 km bis zur Höhe von 2020 Metern sind nicht leicht, ganz im Gegenteil - es gibt sogar Stücke mit Steigung bis 18% (Foto oben, Quelle: Hernolds Rasportseiten). Aber am Anfang des Rennens merkt man das noch nicht so. Ich fahre locker hoch, Kräfte schonend meistens mit dem kleinsten Gang. Kurz vor der Passhöhe gibt es eine Foto-Stelle, hier heißt es: Brust rausstrecken und lächeln. An der Verpflegungsstelle auf dem Kühtei herrscht ein ziemliches Gedränge, ich lasse mir hier Zeit, esse und trinke in aller Ruhe. Allerdings kühlt man bei Temperaturen um 8 Grad, Regen und Wind schnell ab.
Samstag abend in der Sporthalle
Jetzt kommt die rasante Abfahrt. Schon nach 100 Metern merke ich, dass ich sie allein mit der Weste und den normalen Handschuhen nicht "überlebe". Es zieht fürchterlich, mich schüttelt es vor Kälte am ganzen Körper. Ich halte noch einmal an und ziehe meine Regenjacke ("Gott sei Dank hast Du sie mitgenommen" - denke ich) und die langen Handschuhe an. Uff, jetzt ist es viel angenehmer. Aber mit Tempo 90 Km/h - wie bei der Kühteiabfahrt sonst üblich - ist heute nichts. Bei der nassen Fahrbahn wäre es viel zu gefährlich. Zumindest für mich. Viele fahren wie die "Gesengten" und überholen mich auf dem 23 km langen Abschnitt. "Wartet nur bis der Jaufenpass oder spätestens der Timmesjoch kommt, da sehen wir uns wieder" - tröste ich mich und lasse sie ziehen.

Nach 84 Km, kurz vor 9:00 Uhr erreiche ich Innsbruck. Es regnet immer noch, es ist aber wieder etwas wärmer. Jetzt muß ich anhalten und die Regenjacke und die langen Handschuhe ausziehen. Das kostet wieder etwas Zeit, ist aber egal. Wir fahren ein Stück durch die Stadt, dann geht es auf die Bundesstrasse 182 Richtung Brennerpaß. Links sehe ich die berühmte Bergisel-Schanze, hier hat bei der letzten Vierschanzen-tournee Jane Ahonen gewonnen, in den Jahren zuvor Sven Hannavald aber auch "mein Adas", also Adam Malysz. Wer mich kennt weiß, wie sehr ich Skispringen liebe. Und wenn "Adas" bei einem Weltcup-Springen gewinnt, ist mein Jubel-Geschrei meistens in unserer ganzen Siedlung zu hören.

Zenon Karczewski"Hallo, Deine Startnummer hast Du viel zu weit oben angebracht" - spricht mich auf einmal Jemand freundlich auf Polnisch an. "Du verstehst doch polnisch, oder? - fragt er kurz danach, als ich nicht sofort antworte. Ich bin gar nicht so sehr überrascht, schließlich steht mein eindeutig polnischer Name auf der Startnummer und dazu habe ich ja mein "Polish-Post"-Radtrikot an (Foto). "Klar" - sage ich. "Mit der Startnummer - na ja, ich habe sie schon mal umgehängt, ursprünglich war sie noch viel höher, da hat man sie unter der Weste hervor gar nicht richtig erkennen können". Wir schwatzen noch ‚ne Weile über dies und jenes, der Junge kommt mir irgendwie bekannt vor. Er erzählt schließlich, dass er gerade aus Gdansk kommt und ständig in Italien lebt. Gdansk, Italien? "Bist Du 2002 auch dabei gewesen?" "Jaaa, da war ich auch dabei, sagt er nach kurzem Zögern, damals habe ich auch zwei Polen getroffen". "Einer davon war ich" - sage ich und lache. Jetzt kann auch er sich wieder an mich erinnern. Wir sind damals zu Dritt fast den gesamten Anstieg zum Jaufenpaß im flotten Tempo gefahren. So gut war das aber auch nicht. Wir haben viel geredet und sind dabei viel zu schnell gewesen. 3 Km vor dem Pass war ich "platt" und musste mich die gesamte restliche Strecke, vor allem bei dem Anstieg zum Timmelsjoch, furchtbar quälen. Diese Bilder habe ich immer noch genau vor meinen Augen. Also Vorsicht! Piotr ist zwar ein ganz netter Kerl aber jetzt muss Du ihn loswerden, sonst ist Deine ganze Taktik "im Eimer". Er hat aber offenbar ähnliche Gedanken, denn er beschleunigt und fährt davon, ohne sich nach mir umzuschauen und nach einigen Minuten verlieren wir uns aus den Augen. Ich fahre mein Tempo weiter, nicht zu schnell aber auch nicht zu langsam.

Zielbereich (Samstag)Wir passieren Matrei, Steinach, Gries und die Verpflegungsstelle am Brenner, wo ich mir wieder genügend Zeit lasse und - seit dem Arber-Radmarathon an die gewaltige Wirkung von Coffein glaubend - ein Cola-Becher nach dem anderen trinke. Jetzt folgen die herrliche Abfahrt Richtung Sterzing und danach auch kurzes Flachstück Richtung Jaufenpaß. Ich sehe auf einmal viele Fahrer am Straßenrand, die ihre Jacken und Westen ausziehen. Ein sicheres Zeichen dafür, daß der Aufstieg zum Jaufenpass unmittelbar bevorsteht. Wie schon am Kühtei schalte ich auf den kleinsten Gang und fahre "gemütlich" hoch, immer in meinem gleichmäßigen Tempo. Allerdings überhole ich hier viele und werde nur selten von stärkeren Fahren selbst überholt. Ein Gedanke beschäftigt mich dabei ständig: "Du musst bis zum Jaufenpass kommen, ohne kaputt zu werden". Wenn "der Hammer" kommt, wird es danach sehr, sehr schwer. Es läuft aber ganz gut. Der Anstieg ist scheinbar endlos, das wusste ich aber vorher ganz genau. Die letzten Kilometer sind erreicht, jetzt folgt das waldlose Stück, wo man den Rest der Strecke bis zum Gipfel gut überblicken kann. Hier bin ich vor 3 Jahren "gestorben". Aber heute geht es mir noch ganz gut. Also schön locker bleiben, es ist nicht mehr weit. Schließlich sind wir auf dem Gipfel. Hier ist es frisch aber, wie schon die ganze Zeit ab dem Brenner, also auf der italienischen Seite, trocken und teilweise sogar sonnig. Die Weste reicht für die Abfahrt, ich muss mich nicht umziehen. Ich halte noch an der nächsten Verpflegungsstelle an und trinke wieder literweise das Cola-"Zaubertrank". Danach folgt die schöne und rasante Abfahrt bis St. Leonhard. Immer wieder überkommt mich dieses sonderbare Glücksgefühl, das viele Ausdauersportler kennen, wenn sie nach vielen Stunden ins Ziel kommen. Ich bin zwar noch lange nicht im Ziel aber fühle, daß ich es heute ganz gut schaffen werde. Mir kommen die Tränen, hin und wieder muss ich fast heulen.

Die Abfahrt ist geschafft. Jetzt, "nur noch" das letzte Stück. Eine Kleinigkeit von ca. 25 Kilometern mit Steigungen zwischen 7 und 14 Prozent. Die ersten 3 Kilometer sind allerdings etwas leichter. Hier spricht mich wieder die bekannte polnische Stimme an. "Da sind wir wieder beisammen" - denke ich mir. Aber, ob das gut geht, wenn wir zu viel "quatschen"? Von hinten fährt ein Italiener zu uns heran und fragt etwas auf Italienisch. Ich verstehe kein Wort aber mein "Freund" Piotr kann sich mit ihm angeregt unterhalten. Ich nutze die Gelegenheit und lasse mich zurückfallen. "Fahrt schon vor" - sage ich - "ich muss meine Weste ausziehen". Inzwischen ist es richtig warm (so um 17 Grad) geworden und ich fange an, zu sehr zu schwitzen. Ein paar Kilometer weiter übehole ich Piotr , wenig später den Italiener. Mir geht es immer noch ganz gut, bei den Beiden ist offenbar langsam der Ofen aus. "Gut gemacht "- klopfe ich mir in Gedanken auf die Schulter und meine damit meine Kräfteeinteilung. Da ist schon das erste steile, etwa 8 Kilometer lange Stück zu Ende, jetzt wird es etwas flacher. Es kommt die nächste Verpflegungsstelle in Schönau, die ich wieder zum Ausruhen und "Dopen" mit Cola nutze.

Im ZielDanach wird es aber immer schwerer. Noch 10, noch 8, noch 6 Kilometer. Seeberalm - die letzte Verpflegungstelle. Ab hier folgt das letzte, schlimmste Stück des gesamten Marathons. Mit Steigungen von 8-14% und immer weniger Kraft in den Beinen wird dieses Stück zur Qual, die Geschwindigkeit fällt stellenweise bis auf unglaubliche 7 Kmh herunter. Meine Knie beginnen zu schmerzen. "Durchhalten, nicht stehen bleiben". Eine Kehre, noch eine und noch eine. Ich überhole den Einen oder Anderen, werde aber selber auch hin und wieder überholt. Hier ist keiner mehr frisch, alle pfeifen aus dem letzten Loch. Ich fahre jetzt fast nur noch im Wiegetritt, so ist es etwas leichter. Mann, wann ist der Anstieg endlich zu Ende? Ich traue mich kaum, auf die Km-Anzeige meines Geschwindigkeitsmessers zu schauen. 200 km sind längst vorbei, wir sind jetzt bei Km 208. Noch 2 km bis zum Pass - lese ich auf einem Schild, 2 Kilometer die Einem wie die Ewigkeit vorkommen. "Das ist mein letzter Ötztaler" - beschließe ich - endgültig und unumkehrbar, nochmal tue ich mir diese Qualen nicht an!" In der Ferne sehe ich den Timmelsjoch-Tunnel. Endlich! Danach ist das Rennen fast vorbei. Als wir aber auf dem Timmelsjoch, auf einer sagenhaften Höhe von 2504 M, ankommen, ist es so neblig, daß man kaum etwas sehen kann. Dabei ist es kalt und es zieht "wie Atze". Ich ziehe wieder meine Colibri-Jacke und die langen Handschuhe an. Dabei muss ich an meinen Freund, den "Obertroll" Peter denken, den es hier vor 3 Jahren (oder war das 2000? Ich weiss es nicht mehr genau) an dieser Stelle ganz schwer mit Hagel und Gewitter erwischte und der dann wie ein Häufchen Elend im Ziel ankam. Ich war damals etwas schneller und konnte den Pass noch bei strahlendem Sonnenschein passieren, bevor das Wetter umschlug. Seitdem hat Peter die Lust am "Ötzi" verloren, ich konnte ihn leider auch dieses Jahr nicht zu seiner dritten Teilnahme überzeugen.

Zurück zum Rennen. Jetzt heißt es: Auf zum letzten Kampf! Aber wie soll ich hier abfahren, wenn ich in diesem dichten Nebel nichts sehe? Mit ständig angezogenen Bremsen fahre ich langsam hinunter und wundere mich über diejenigen, die wie Blitze - so kommt es mir zumindest vor - an mir vorbeiziehen. "Soll ich ihren Mut bewundern oder über diesen Leichtsinn den Kopf schütteln?" Egal, ich selbst will jetzt nichts mehr riskieren. 210 Kilometer und damit fast der ganze "Ötzi" sind geschafft, ich werde auf den letzten 28 Kilometern nichts mehr riskieren.

Wer aber glaubte, ab dem Timmelsjoch geht es nur noch bergab, wird nach ein paar Kilometern Abfahrt schwer enttäuscht. Ein letzter, etwa 2 Kilomter langer Anstieg zur Mautstelle steht uns noch bevor. Für mich noch die Gelegenheit, diejenigen, die mich gerade im Nebel überholt habe, nochmal einzufangen. Nach der Mautstelle ist es geschafft, ab hier ist auch der Nebel schlagartig weg. Noch die letzten schnellen Kilometer und nach 10:37:39 bin ich endlich im Ziel!

 

 

 

 

 

Der Sieger Christian Ceralli aus Italien brauchte 7:12:59, die beste Frau Anna Corona, ebenfalls aus Italien, 8:12:09 und ich konnte nicht einmal die 10h-Grenze unterbieten. Na und? Mit Platz 1279 habe ich immer noch mehr als 2000 Starter hinter mir gelassen.

Ich hole mir mein Finisher-Trikot und einen Pin (so eine Art Medaillen-Ersatz) ab und gehe in meine "Sonnen-Villa Anna", um mich etwas zu erholen. Als ich nach einem einstündigen Schlaf wieder aufwache, ist mein erster Gedanke: " Wie war das gleich mit dem letzten Ötzi? Unsinn, nächstes Jahr bin ich wieder dabei!" Der nächste Traum hat soeben begonnen! Nach 1997, 2000, 2002, 2003 (aufgegeben) und 2005 wird das bereits mein sechster sein.

Der Ötztaler Radmarathon ist halt "die beste Wahl zur ultimativen Qual" - wie die "Tiroler Zeitung" am nächsten Tag schreiben wird.

Als ich am Montag, dem 29.08.05 Sölden verlasse, herrscht ein herrlicher Sonnenschein (Foto unten rechts) und die Temperatur beträgt 25 Grad. Schade, daß dieser Wetterwechsel einen Tag zu spät kommt. Aber vielleicht ist das ein gutes Zeichen für nächstes Jahr.

Sölden am Sonntag...
und am Montag morgen
 

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