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Tour de France_L'Alp d'Huez_21.07.04
von Z. Karczewski

Das schon vorab als die spektakulärste Tour de France-Etappe aller Zeiten angekündigte Einzelzeitfahren hielt was es versprach - es war ein grandioses, spannendes und nachhaltiges Erlebnis für Rad-Profis und Zuschauer. Mehr als eine halbe Million Fans, darunter neben den Franzosen viele Holländer, Engländer, Amerikaner und vor allem Deutsche verwandelten die Strecke in das grösste Stadion der Welt. Unter ihnen unser Troll Zenon, für den es seit 1998 die zweite (und garantiert nicht die letzte) "Tour-Teilnahme" war. Hier sein Bericht:

"Es ist gegen 9:30, wir sitzen noch am Frühstückstisch, da klingelt mein Handy: "Hallo Zenon, hier ist Bert, es tut mir leid, ich konnte nicht kommen, na ja Du weisst schon, die Arbeit". "Kein Problem, Arbeit geht vor, kann man nicht ändern" - sag ich. "Und wie ist es dort so?"- will Bert wissen. " Wahnsinn, gestern abend war hier schon überall eine grosse Party (Bild 1), z.Z. ziehen die Massen alle den Berg hinauf, wir machen auch gleich los. Wir stehen dann an der Kehre Nr. 16 bei Km 4, am Ende des steilsten Stücks, vielleicht sieht Du uns im Fernsehen" "Geht klar, viel Spass noch, vielleicht klappt es im nächsten Jahr mit unserem Zweikampf". "Macht's gut Bert". Ich lege auf.

"O.k" - sage ich zu Roman, meinem Sohn , "wir machen uns jetzt auf die Socken, sonst bekommen wir womöglich keinen guten Platz mehr". Unser Campingplatz (Bild 2), auf dem wir ein Holz-Bungalow für 14 Tage gemietet haben, liegt direkt an der Strecke, genau an der Stelle, wo der 13,8 km lange Anstieg Richtung Alp d'Huez beginnt. Wir schauen nach oben, der Strom der Zuschauer nimmt zu, es ist ein herrlicher Tag mit 30 Grad Wärme und einem wolkenlosem, blauen Himmel.

Wir laufen an den Kehren 21 bis 17 vorbei, es ist kaum noch Platz frei (Bild 3), kurz vor der Kehre 16, wo das steilste fast durchgehend 14%-steile Stück zu Ende geht, finden wir noch einen günstigen Platz auf der linken Seite mit einer guten Sicht nach unten. "A long run" - sagen dazu die Engländer, die sich fast gleichzeitig mit uns einen Meter weiter unten vor uns platzieren. Es wird sich später rausstellen, dass uns dieser "long run" nicht viel nützt, wenn die Strasse, immer wenn ein Fahrer kommmt, durch die Zuschauer zu einem engen Korridor "zugemacht" wird. Wir machen es uns aber jetzt gemütlich, es ist 11:00 Uhr, wir haben noch 3 Stunden bis zum Start.

Ich denke an die Schmerzen in den Oberschenkeln, die ich in den letzten Tagen immer an dieser Stelle hatte, als ich nach Alp d'Huez mit meinem Rennrad hochfuhr (Bild 4). Ab Kehre 16 wird es für eine Weile etwas leichter, man kann sich etwas erholen, bevor es ab Km 7 nochmal richitg schwer wird. 7mal hatte ich es versucht, 2mal musste ich umdrehen, weil die Kraft nicht reichte, meine Bestzeit bei den restlichen 5 gelungenen Versuchen war: 67 min (Marco Pantani ist 1997 eine halbe Stunde schneller gefahren).

Es wird Mittag, auf einmal wird es bunt und laut - die Werbekaravane kommt (Bild 5). Von den Werbeartikeln bekommen wir wenig ab - nur eine Mütze und einen kleinen Rucksack für unsere kleine Anna, die mit meiner Frau etwas später dazu kommt, beide erschöpft von der Hitze und dem steilen Weg.

Dann wird es für eine Weile wieder still - die Ruhe vor dem Sturm (Bild 6). Nach stundenlangem Warten steigt jetzt die Spannung von Minute zu Minute. Noch 15, noch 10, noch 5. Und dann geht es los: es ist 14:00 Uhr, alle stehen auf, ich schaue mit dem Fernglas nach unten, Richtung Bourg d'Oisans (Bild 7) und erkenne den ersten Fahrer: Sebastian Joly, den bis dahin Schlechtesten im Gesamtklassement.

Noch ein paar Minuten und er erreicht die Stelle, wo wir stehen. Alle schreien und jubeln als wäre das schon Lance Amstrong oder Jan Ullrich. Nach stundenlangem Warten entladen sich jetzt die Emotionen, alle sind froh, dass es endlich losging. Joly erzählt später in einem Interview, dass ihn die Zuschauer regelrecht nach oben getragen haben.

Nach Joly kommen die nächsten Fahrer (Bild 8), der Ablauf ist immer der gleiche: Korridor zu, des erste Motorrad "fräst" eine schmale Gasse in die Zusachuer hinein, danach geht die Gasse wieder zu, kurz bevor der Fahrer an uns vorbeikommt geht "der Reissverschluss" wieder auf, schnell schauen, Foto machen und nach einem kurzen Augenblick ist es wieder vorbei. Im Fernsehen sieht man sicherlich mehr, aber das Live-Erlebnis ist doch was ganz Anderes - kurz aber um so intensiver.

Ein Fahrer nach dem Anderen fährt an uns vorbei, wir schreien und jubeln, egal ob es Telekom, US-Postal oder eine andere Mannschaft ist: Jens Voigt (Bild 9), Erik Zabel (Bild 10), Thomas Vöckler (Bild 11), Richard Virenque (Bild 12) und, und, und ...

Und dann kommen endlich die Besten! Zunächst Azevedo, dann Jan Ullrich! Ich werde ganz aufgeregt, auf diesen Augenblick habe ich seit Tagen und Stunden gewartet , ich will jetzt unbedingt ein gutes Foto machen. Er taucht hinter dem Motorrad auf, "Jaaaan!" - schrei ich, drücke den Auslöser, nach einer Sekunde ist es vorbei. Wie ist das Foto geworden? Ich wechsle in den View-Mode der Kamera und glaube meinen Augen nicht: ich habe gar kein Foto von Jan! Scheisse, gerade diesmal, alle anderen sind ja einwandfrei geworden.

(Später auf dem Campingplatz erfahre ich von unserem niederländischen Nachbar Roy (Bild 13), dass es ihm ähnlich ergangen ist: er hatte alle wichtigen Fahrer fotografiert, bei Ullrich hat der Power-Safe-Mode zugeschlagen und die Kammera ging aus; Roy und seine Freunde habe ich ein paar Tage vorher beim Training Richtung Col de Galibier kennengelert. Ich fuhr eine ganze Weile alleine, habe mich an diesem Tage auch ganz gut gefühlt, auf einmal überholen mich 4 junge Kerle. Mich packt der Ehrgeiz, ich bleibe dran. Der Blonde vorn erhöht das Tempo, zwei aus seiner Gruppe fallen nach kurzer Zeit zurück, ich bleibe an dem Dritten dran, der aber nach ein paar Kilometern auch nicht mehr "kann". Ich fahre alleine, der Blonde etwa 100 m vor mir. Ich erhöhe das Tempo, sein Vorsprung wird immer kleiner, irgendwann mal komme ich ran, er kann mich dann aber nochmal abschütteln. Einige Kilometer vor dem Col du Lautaret (ca. 2000 m) erreiche ich ihn wieder, ich fühle mich auf einmal ganz stark und mache jetzt selbst das Tempo. 2 Km vor dem Pass kann er nicht mehr folgen. Ich steigere mich nochmal und erreiche den Lautaret mit einem Vorsprung von 45 sec. Vor uns liegt noch der Galibier (2600), ich frage Roy (später erfahre ich, dass er so heisst), ob wir unser Duell fortsetzen wollen, er zieht es aber vor, auf seine Freunde zu warten. Wieder zu Hause angelangt, erzähle ich stolz meiner Familie wie ich - "alt und gebrechlich" - 4 junge, sportliche Kerle geschlagen habe. Wie es sich rausstellte, waren es unsere Camping-Nachbarn).

Zum Jammern bleibt jetzt wenig Zeit. Es kommen noch Mancebo, Klöden (Bild 14) und Basso (Bild 15) und am Ende der Boss des Peletons: Lance Amstrong. Er rauscht an uns vorbei, ich schreie intstinkiv: "Laaance!", obwohl ich es gar nicht wollte. Diesmal gelingt das Foto (Bild16).

Nach Lance ist auf einmal alles vorbei. Wir rennen etwa 50 m hoch, vor der Gaststätte an der Kehre 16 hat man einen Fernseher aufgestellt, wir schauen zu und warten gespannt auf die Zwischenzeiten. "Bestzeit Ullrich" - wird gemeldet. Die deutschen Fans jubeln. Leider zu zeitig. Als ein paar Minuten später Amstrong's Zeit erscheint , wird allen klar - die Etappe und die Tour sind entschieden. Jetzt jubeln die Amis und alle anderen US Postal-Fans. Am Ende gewinnt Lance mit 61 sec Vorspurng. Am nächsten Tag erscheint auf der Titelseite der Sportzeitung L'Equipe ein grosses Bild von ihm mit der Überschrift: VAINQUEUR PAR K.-O. (Sieger durch k.o.).

Wir gehen im Strom von Hunderttausenden den Berg hinab wieder nach Hause. Tonnen von Mülle bleiben am Wegesrand liegen (Bild 17), es wird noch mehrere Tage dauern, bis alles einigermassen weggeräumt ist.

Am nächsten Tag gehe ich zum Start der nächsten Etappe (u.a. über den schweren Col du Glandon, den ich in den vorangegangenen Tagen auch selber 2mal bezwungen habe- Bild 18) und diesmal gelingt es mir: das Foto von Jan Ullrich (Bild 19).

1. Am Vorabend der Etappe
2. Unser Campingplatz
3. Am Vormittag
4. In 67 min nach Alp d'Huez
5. Die Werbekaravane
6. Die Ruhe vor dem Strurm
7. Blick zum Start in Bourg d'Oisans
8. Bettini - der spätere Olympia-Sieger von Athen
9. Jens Voigt
10. Erik Zabel
11. Thomas Vöckler
12. Richard Virenque 13. Roy (rechts) - mein Geg-
ner am Col du Lautaret
14. Andreas Klöden 15. Ivan Basso
16. Lance - der Tour-Gigant 17. Nach der Etappe 18. Am Col du Glandon 19. Jan Ullrich
 

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