Gedenklauf für Roman

30. HASKO-LEK Wroclaw Maraton

16.09.2012

Bericht von Zenon Karczewski

30. Hasco-LEK Wroclaw-Marathon Bei Kilometer 30 kann ich nicht mehr. "Lauf weiter" - sage ich zu Peter - "Ich muss mich kurz ausruhen und werde dann mein eigenes Tempo laufen. Mach Dir keine Sorgen. Ich schaffe das schon. Wie sie..." - sage ich und deute auf eine polnische Läuferin, die diesen Spruch auf Polnisch auf ihrem T-Shirt trägt ("Damy Rade!" - Foto). Ich dehne meine schmerzenden Ober-schenkel, mache ein paar Kniebeuge und setze mich langsam wieder in Bewegung. Peter ist mittlerweile 200 Meter vor mir und winkt mir von Weitem. Nun bin ich ganz alleine. Alleine als Dresdner Troll, denn ansonsten hat man bei diesem mittlerweile grossen Stadt-Marathon immer viele Mitstreiter um sich.

Bei meiner ersten Teilnahme 1997 waren es gerade mal 750 Läufer am Start. In den Folgejahren bis 2002, wo ich jedes Jahr (mehrmals auch mit "Obertroll" Peter) dabei war - stieg die Teilnehmerzahl nur unwesentlich bis auf ca. 1000. Der starke Teilnehmer-Zuwachs kam - dem internatio-nalen Trend folgend - erst in den letzten paar Jahren. Allerdings war man in den 90er Jahren mit einer Zeit von über 3h30 ziemlich am Ende des Feldes. Heute gehört man damit zur erweiterten Spitze. Ich denke an das Jahr 2001 als Ralf - der Mitbegründer der Dresdner Trolle - auch nach Wroclaw mitkam und wir damals als "Obertrolle-Team" starteten. Damals fand der Wroclaw Marathon noch im April statt. Piast - eine grosse Bierbrauerei - war der Sponsor. Man lief zwei Mal die Halmarathonschleife.

Start/Ziel war auf dem Altmarkt, der eine beeindruckende Kulisse bot. Es war sehr heiss an diesem Tag, die Temperatur lag bei weit über 30 Grad.

Wir waren alle 3 gut in Form, liefen auf Zeit und lieferten uns einen Wettkampf. Ich lief die ganze Zeit vor Ralf, spürte aber auf der zweiten Runde regelrecht seinen Atem im Rücken. Als ich mich bei Kilometer 36 umsehe, ist er plötzlich ein paar Meter hinter mir. Er lacht, dann fängt er an, zu torkeln. Ich denke zunächst, dass er Spass macht, bis ich merke, dass ihn die Kräfte verlasen und er zu Boden sinkt. Im letzten Augenblick gelingt es mir, ihn aufzufangen und auf einen Rasen neben der Strasse zu legen. "Wir brauchen einen Krankenwagen„ - schreie ich laut. Ralf liegt bewusstlos auf dem Boden, ein paar polnische Läufer helfen mir, ihn zu "beleben". Ein paar Minuten später höre ich die Sirene, kurz darauf wird unser völlig dehydrierter Obertroll von einem Arzt behandelt und anschliessend ins Krankenhaus gebracht. Ich laufe ins Ziel und treffe dort wenig später Peter. Zusammen mit Ralf's Jungs, die damals noch Kinder waren, besuchen wir unseren dritten Obertroll in einem Krankenhaus. Der Wroclaw-Aufenthalt muss um einen Tag verlängert werden.



Heute am 16.9.2012 dürfte uns eine ähnliche Situation nicht passieren, denn die Temperaturen sind mit ca. 20 Grad ideal und auch sonst scheint es keinen Grund zu geben, den Wroclaw-Aufenthalt unfreiwillig zu verlängern.



Die meisten Sorgen hatten wir uns um die Autos gemacht. Die Erleichterung war groß, als unsere beiden PKW heute früh vor dem Hotel immer noch unangetastet da standen.

Im glücklichen Jahr 2010 kam ich zusammen mit Roman (Foto links) nach Wroclaw. Er war in starker Form und wollte Bestzeit laufen. Für mich ging es darum, mit dem verletzten Knie unter 4 Stunden zu bleiben. Der Marathon hatte sich in den letzten Jahren stark verändert. Start/Ziel war jetzt am Olympia-Stadion, die Teilnehmer-zahl lag bei beachtlichen 2500. Ich denke jetzt an diese glückliche Zeit und an meinen Sohn, der nicht mehr da ist. Mein Leben hat sich seit dem 14.6.12 sehr stark verändert. Fürs Laufen hatte ich wenig Zeit, die Lust darauf kommt nur langsam wieder zurück. Die Kondition reicht im Moment vielleicht für 10 Kilometer aber nicht für einen Marathon. Ich bin aber heute trotzdem dabei, um zusammen mit den anderen "Trollen" und "Gast-Trollen" Roman zu gedenken.

Die Idee, einen Gedenklauf zu organisieren, kam noch im Juni auf, kurz nach Roman's Tod. Christian organisierte die T-Shirts (s. >> sein Bericht). Mit der Anmeldung wurde es wegen dem Teilnehmerlimit noch etwas eng aber schliesslich können wir heute alle starten. Dabei sind: Nicole, Christian, Frank-Peter, Gerald, Henrik, Matthias, Mirko, Peter, Siggi und ich. Samstag Mittag treffen wir uns vor unserem Hotel nahe Stadtzentrum, anschliessend fahren wir zur Marathon-anmeldung. 16 Uhr beginnt die Pasta-Party. Das Wetter ist schön, wir sitzen draussen, essen Nudeln, trinken Bier und hören einer Mädchen-Rockband zu (Fotos).


>> Errinerung an Roman 1 (You Tube)
>> Erinnerung an Roman 2 (Foto-Bericht)

Siggi, Christian, Frank-Peter, Conny, Nicole, Christina, Bärbel, Peter, Henrik, Matthias, Gerald, Mirko

Gegen 17:00 Uhr taucht Nicole auf. Sie ist mit dem Zug von Berlin nach Wroclaw gefahren und hat das letzte Stück - liebevoll betreut von einer Gruppe polnischer Jugendlichen - mit der Strassenbahn (Linie 9) bewältigt. Den Abend lassen wir auf dem schönen, aufwendig restaurierten Wroclawer Altmarkt ausklingen.

Der Marathon startet 9:00 Uhr. Wir kommen schon halb acht auf dem großen, extra für die Marathonteilnehmer in der Nähe des Starts eingerichteten Parkplatz an. Damit sind das Auto und das Gepäck sicher. Wer dem Frieden trotzdem nicht traut, kann Wertsachen in seinen Kleiderbeutel legen und zur Aufbewahrung abgeben. Oder auf vermeintliche "Nummer sicher" gehen und besonders wertvolle Gegenstände mit auf die Strecke nehmen - wie zum Beispiel den Autoschlüssel. Es ist 8:30. Wir haben noch viel Zeit und machen Gruppenfotos. Die meisten von uns entscheiden sich dafür, den Gedenklauf locker und ohne jeglichen Zeitdruck zu bestreiten. 9:00 Uhr setzen wir uns aus den letzten Reihen gemütlich in Bewegung. Erst nach 5 Minuten überqueren wir die Startlinie. Danach geht es noch eine ganze Weile im Stop&Go-Rhythmus weiter, bis sich die Läufermasse ausreichend auseinander gezogen hat.

7 Trolle bleiben weiterhin zusammen. Franky und Henrik laufen etwas schneller, Christian war schon vorher weg. Ich unterhalte mich abwechselnd mit Mirko, Gerald, Nicole, Siggi und Matthias, zum Schluss mit Obertroll Peter. Nach einer Pinkelpause bleiben wir etwas zurück. Der Rest läuft lange in Reichweite. Als Orientierung dient uns die ganze Zeit der über 2 Meter grosse Wladimir Klitschko alias Matthias, der mit seinem grünen Kopftuch wie ein Leuchtturm aus der Läufermasse hervorragt (Foto ganz oben). Nach 15 Kilometern (>> Strecke) laufen wir an dem Stadion vorbei, in dem bei der letzten Fussball-EM ein paar Spiele ausgetragen wurden (Foto). Ich bin von der imposanten Arena beeindruckt. Auch sonst hat die EM viele positive Spuren in Wroclaw hinterlassen - es wurde viel renoviert bzw. neu gebaut.

Wir treffen Siggi, der wegen Schmerzen in der Hüfte nicht mehr laufen kann und nun geht.

"Ich werde wahrscheinlich, wie geplant, aussteigen und mit einem Taxi zum Ziel fahren" - meint er. "Danke, dass Du mitgekommen bist" - sage ich zu ihm. Wir kennen uns seit über 20 Jahren. Als wir uns kennen lernten, war er so alt wie ich jetzt. Nur viel fiter. Wir haben viele Marathons und Rennrad-trainings zusammen bestritten. "Bis später" - sagen wir zu Siggi (Foto) und laufen mit Peter weiter. Vorher versorgt der Obertroll unseren 74-jährigen Veteran mit einigen Wundertabletten aus seiner "mobilen Apotheke". Ich ahne zu diesem Zeitpunkt nicht, dass auch ich etwas später davon Gebrauch machen werde. Im Moment sind wir beide noch frisch, laufen munter weiter und machen immer wieder Fotos.

Auch von einer jungen Polizistin, die mich danach so streng anschaut, als wollte sie gleich ihre Dienstwaffe ziehen (Foto). Nach dem Halbmarathon bekomme ich trotz oder vielleicht gerade wegen des "Schnecken-tempos" zunehmend Oberschenkel-Schmerzen. Bei Kilometer 25 lasse ich mich massieren. Peter wartet auf mich. Danach laufen wir zusammen weiter, machen weitere Fotos. An den Verpflegungsstellen besticht immer wieder die Begeisterung, mit der die Helfer: Schlüler bzw. Soldaten der polnischen Armee ihre Aufgabe erfüllen. An einer Ecke bei Kilometer 28 treffen wir Bärbel. Nach der 30-Km-Marke "entlasse" ich Peter, der noch sehr locker wirkt, und beschliesse, mich auf den letzten Kilometern alleine zu quälen.

"Ich quäle mich gerne für Dich Roman"- kommt es mir in den Sinn. Jeder Schritt tut weh, ich jogge aber kontinuierlich weiter. Gehen kommt für mich nicht in Frage. Da wir mit Peter als die letzten Trolle liefen und auf Niemanden von uns bis jetzt aufgelaufen sind, denke ich, dass ich immer noch der langsamste Troll bin. Mit Bewunderung denke ich vor allem an unsere "Troll-Nicole", die ja neulich wochenlang in der Karibik unterwegs war und auch nicht trainieren konnte. Auch der lange Matthias (Klitschko) bringt wohl heute bei seinem Marathon-Debüt eine starke Leistung. Erst später werde ich erfahren, dass ich die Beiden irgendwo überholt habe. Sie werden zusammen mit Siggi, der seine Schmerzen überwunden und doch noch durchgehalten hat, nur wenige Minuten später nach mir ins Ziel kommen.

36 Kilometer sind absolviert, jetzt kommen die interessantesten Abschnitte der Strecke. Wir kommen auf den Altmarkt (Foto links) und werden anschliessend über die Dom-Insel (Foto) Richtung Olympia-Stadion laufen.

Ab da erlebe ich so etwas wie eine "Neugeburt". Die Schmerzen sind fast weg. Ich fühle mich besser, laufe etwas schneller und überhole noch viele Läufer. Nach 4h46 komme ich endlich ins Ziel (Foto). Ich würde noch gerne ein wenig mit den anderen zusammen sitzen und das schöne Wetter und die Marathonstimmung geniessen aber dafür ist jetzt keine Zeit. Wir haben ein "technisches" Problem und müssen es jetzt lösen, damit alle morgen früh wieder zur Arbeit gehen können. Das klappt dann auch halbwegs. Gegen Mitternacht sind alle wieder in Dresden. Nur Mirko muß 2 Tage länger in Wroclaw bleiben. Er nimmt das gelassen. Am Dienstag darf auch er nach Hause zurück fahren. An diesen denkwürdigen Marathon werden wir uns noch lange erinnern. Meine Medaille widme ich Roman. DANKE an alle, die nach Wroclaw mitgekommen sind.

>> Ergebnisse
>> Bericht von Christian Wroclaw Marathon 2012
>> Bericht Wroclaw Marathon 2010

 

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